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13.11.2015

Bischof Gregor Maria Hanke OSB hält bewegende Rede in der ehemaligen Synagoge Hainsfarth

pde-Fotos: Anita Hirschbeck

Zum Gedenken an die Reichsprogromnacht lud der Freundeskreis der Synagoge Hainsfarth zusammen mit der KEB im Landkreis Donau-Ries Bischof Gregor Maria Hanke als Gastredner ein

Bischof Gregor Maria Hanke OSB hält bewegende Rede in der ehemaligen Synagoge Hainsfarth
Zum Gedenken an die Reichsprogromnacht lud der Freundeskreis der Synagoge Hainsfarth zusammen mit der KEB im Landkreis Donau-Ries Bischof Gregor Maria Hanke als Gastredner ein
„Erst wenn man von den Menschen nicht mehr spricht, sind sie tot und vergessen“, hält Sigi Atzmon vom Freundeskreis der Synagoge Hainsfarth zu Beginn ihrer Begrüßung fest. Deshalb sei das Gedenken an die Ereignisse des 9. Novembers 1938, die Reichsprogromnacht, wach zu halten, um eine Missachtung der Menschenwürde gerade in Krisenzeiten zu verhindern. Dieser Aufgabe hat sich auch der Freundeskreis der Synagoge Hainsfarth verschrieben und zum Gedenken an den Tag zusammen mit der Katholischen Erwachsenenbildung Donau-Ries zahlreiche Ehrengäste aus Kirche und Politik eingeladen. Die aktuellen Ereignisse ließen befürchten, dass wieder Menschengruppen ausgegrenzt würden. „Helfen Sie mit, gehen Sie mit uns!“, lautete die abschließende Bitte von Atzmon an die gut 120 Zuhörer, die gekommen waren, der Ereignisse und der Opfer zu gedenken.
Auch in Hainsfarth waren die dort lebenden Juden am 9. November 1938 vertrieben und deportiert worden. 20 von ihnen wurden in den Jahren danach im Konzentrationdslager Theresienstadt getötet. Davon zeugt die Tafel an der Wand, auf die die Namen der Opfer geschrieben sind. Der jüdische Kantor Nikola David stimmte unter der musikalischen Begleitung von Ludwig und Michael Burger aus Wemding einen eindringlichen Psalmengesang an, welcher die Zuhörer in ihren Bann zog.
Bischof Gregor Maria Hanke OSB, der diesjährige Gastredner, schlug ebenso einen nachdenklichen Ton an. Der Tag heute sei ein Gedenken an eine böse und schlimme Nacht, in der Synagogen zerstört und Menschen geschändet worden waren.  „Die heutige Nacht, in der vor 77 Jahren nicht nur gläsernes Kristall splitterte, sondern Kristall des Lebens eingetrübt und zerbrochen wurde, war Auftakt des Fürchterlichen, war eine Nacht der Schande, des Mitmachens und des Wegsehens, eine Nacht der Zerstörung der eigenen Werte durch die Erniedrigung der anderen, der Nachbarn, die als Fremde angesehen und diffamiert wurden“, erinnerte der Bischof und verband damit die schwierige Frage, wie im Angesicht des Holocausts noch gesungen werden könne. Eine Antwort fand er an jüdischen Beispielen der damaligen Zeit. Der im Januar 1938 verstorbene Jocob Obermeyer aus dem benachbarten Steinhart beispielsweise habe sich, so lege es sein Nachruf nahe, bis zuletzt einen unerschütterlichen Lebensoptimismus bewahrt, und das in Kenntnis der drohenden Gewalt im Herbst desselben Jahres. Dass er sich diesen erhalten konnte, sei nur dadurch zu erklären, dass er sich in Gott geborgen gewusst habe. Eine Erfahrung, die er durch seine Aufenthalte im Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris machen konnte, wo das jüdische Volk die Zeit des babylonischen Exils verbrachte. Das Beispiel des gesetzestreuen Juden Jossel Rakkover, eine fiktive Gestalt in der jiddischen Erzählung des litauischen Juden Zvi Kollitz, zeige, dass dieser im Angesicht des brennenden Warschauer Ghettos ähnlich wie die biblische Person Ijob mit Gott „Tacheles“ spreche. Auch Ijob gebe sich nicht damit zufrieden, dass das erfahrene Unheil mit einer Strafe Gottes gleichzusetzen sei. Die literarische Figur Jossel habe also auch das Recht, Ihn – Gott - zur Rede zu stellen. So komme er zu der Erkenntnis, dass Gott sein Gesicht verhüllt habe, ähnlich wie Dietrich Bonhoeffer aus dem Berliner Gefängnis schrieb: „Vor und mit Gott leben wir ohne Gott.“ Jossel Rakover könne Gott zwar nicht loben für seine Taten, aber er habe ihn für seine schiere Existenz gepriesen. Nicht zuletzt wegen seiner Größe habe er aber Gott gebeten, dass er aufhöre, die Unglücklichen schlagen zu lassen.
„Erinnern heißt vergegenwärtigen, das was geschehen ist und nicht mehr geändert werden kann, es auf die Gegenwart zu beziehen und versuchen, die richtigen Lehren daraus zu ziehen“, bekräftigt  Bischof Hanke. Und gerade heute zeige das Beispiel Jossel Rakovers uns, dass in den Menschen in Not das Angesicht Gottes aufleuchte. Unsere Verantwortung zeige sich aber auch darin, dass wir selbst durch Waffenexporte, ökonomische Gier und Selbstsucht Ursachen für Krieg, Flucht und Vertreibung schaffen. Bischof Hanke sieht keine Lösung darin, sich nun abzuschotten und Mauern zu bauen. Doch sei die Herausforderung groß, die es zu bewältigen gelte. „Wir sollten wohl mehr vom Recht und der Not des Anderen her denken, als nur von dem, was wir als unser Recht beanspruchen, wenn wir wollen, dass Leben nicht zerstört, sondern aufblühen kann“, forderte der Bischof die Anwesenden am Ende seiner Rede auf.
Sigi Atzmon vom Freundeskreis der Synagoge Hainsfarth dankte Hanke für seine Worte und seinen Besuch mit einem jüdischen Schabbat-Brot und einer Flasche koscherem Wein.
Der jüdische Kantor Nikola David, begleitet durch die beiden jungen Musiker Ludwig und Michael Burger aus Wemding, beendete den Abend mit dem Singen des Psalmes 103 und dem Lied „Ich wandre durch Theresienstadt“ der jüdischen Autorin Ilse Weber. Dort fanden in den schlimmsten Zeiten täglich bis zu 100 Menschen den Tod.
Bericht: Andreas Weiß
pde-Fotos: Anita Hirschbeck